Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Haushaltsrede vom 13.12.2017

Rede zur Verabschiedung des Haushalts der Stadt Bad Salzuflen für das Jahr 2018

Heute werden wir (auch mit unseren Stimmen) einen Haushalt verabschieden, der für relative Entspannung sorgt – auf den ersten Blick. Die Seite der Einnahmen hat sich stabilisiert bzw. leicht verbessert. Die neuen Zahlen im vorliegenden Haushaltsentwurf versprechen eine gewisse Erleichterung im Ergebnisplan von gut 1,6 Mio EUR.

Mit den zusätzlichen Aufgaben steigen unvermeidlich auch die Ausgaben. Deshalb sind im Stellenplan per Saldo 11 zusätzliche Vollzeitstellen-Äquivalente vorgesehen.

Es bestand weitestgehend Einigkeit, dass die laufenden und die geplanten Investitionen notwendig sind. Streit gab es teilweise über die Höhe und die Zuordnung zu den einzelnen Haushaltsjahren. Schwer verdaulich sind die Unwägbarkeiten und Überraschungen bei den großen Baustellen.

Die jüngste Botschaft war, dass die bisherigen Schätzungen zum Neubau der Feuerwehr-Hauptwache zu ungenau waren. Zudem bedeuten die Ausbaupläne für die B239 eine wesentliche Neuplanung mit Mehraufwand von rund 16 statt 10,2 Mio EUR. Das stecken wir nicht so einfach weg, wir können es nur etwas erträglicher verteilen.

Politiker und Fachleute überbieten sich seit Längerem in Bekenntnissen, dass man bei der Bildung und der Versorgung von Kindern und Jugendlichen mehr tun müsse. Nun können wir in Bad Salzuflen keine Erzieher*innen und Lehrer*innen herzaubern. Dafür ist vor allem das Land verantwortlich.

Als Schulträger können wir jedoch etwas dafür tun, dass die Kinder in guten Räumlichkeiten lernen können. In den Fachgremien wurden die fälligen Sanierungen und Ausbauten für Schulgebäude intensiv beraten. Der Investitionsstau früherer Jahre wird nun zielstrebig abgearbeitet. Hier an der Qualität zu sparen, wäre verkehrt. Die Zukunftsplanung im Erziehungs- und Bildungsbereich ist eben kein Malen nach Zahlen.

Nach dem Motto „Und täglich grüßt das Murmeltier“ hören wir das Mantra hier im Rat: Wir müssen runter von den Schulden. Die FDP forderte erneut die Einführung einer Schuldenbremse.

Wir wissen: Wir haben ein strukturelles Defizit. Die Ursachen dafür liegen aber nicht in einer verschwenderischen Ausgabenfreude. Es mussten Entscheidungen für Investitionen getroffen werden. Nichthandeln wäre grob fahrlässig. Und wirtschaftliches Denken für die Stadtgesellschaft ist nicht dasselbe wie die rein ökonomische Betrachtung in einem profitorientierten Unternehmen. Das sollte eigentlich bekannt sein. Ein Unternehmen kann im Notfall Teile schließen, outsourcen oder schlimmstenfalls auswandern oder per Insolvenz den Laden dicht machen.
Wir können nicht einfach den Reset-Knopf drücken und die Stadt neu gründen. Eine Kommune kann und darf übrigens nach § 12 der Insolvenzordnung sowieso keine Insolvenz anmelden.
Die Menschen sind da. Die Stadt ist da – mit allem Guten und Schlechten. Und mit Erblasten aus der Vergangenheit, die zum großen Teil bis weit ins vorige Jahrhundert zurückreichen, wenn ich nur an das Staatsbad denke.

(Haben Sie es bemerkt? Die letzten Sätze stammen wörtlich aus meiner Rede vom vergangenen Dezember.)

Weitere Erblasten kommen ans Licht:

Das Grundwasser am Markt ist vor Jahrzehnten durch eine chemische Reinigung verunreinigt worden, was uns Steuerzahler mehr als 20 Jahre teuer zu stehen kommt.

Die Sanierung der Rathausfassade steht auch an.

Die Solequellen sind eine Besonderheit für die Badestadt. Nach und nach wurden sie in den letzten 200 Jahren erschlossen, mit den Mitteln und Materialien, die damals verfügbar waren – und nun allmählich verrotten. Wie lange es mit den vorsorglichen Rettungsmaßnahmen gut geht, wissen wir nicht. Wenn die angebohrten Quellen unkontrolliert ausbrechen, drohen im schlimmsten Fall für das Image und die städtischen Finanzen gewaltige Schäden, die wir nicht wirklich auf dem Schirm haben.

Nitrat – ich habe das Problem vor einem Jahr bereits angesprochen: Der dauerhafte Eintrag von Düngemitteln schädigt mit Zeitverzögerung die Grundwasserspeicher. Noch ist alles OK, weil das Wasser auf einen verträglichen Nitratgehalt verschnitten wird. Inzwischen scheint das Thema angekommen zu sein. Wir dürfen nicht weiter so mit den begrenzten natürlichen Ressourcen umgehen wir bisher. Mit wohlmeinenden, aber folgenlosen Appellen an gesunde Ernährung und etwas weniger Fleisch ist es nicht getan. Wir müssen uns auch damit beschäftigen, auf welche Art und Weise das billige Fleisch erzeugt wird, wie mit den so genannten Nutz-Tieren umgegangen wird. Übrigens: Wie passt dazu die zur Schau-Stellung einer Idylle mit Krippe und lebenden Tieren auf dem Weihnachtsmarkt?

Unsere Gesellschaft verändert sich. Immerzu, und manchmal auch beschleunigt. Politik hat die Aufgabe, die Veränderungen mitzugestalten und über den Tag (und den nächsten Wahltermin) hinaus zu denken. Die einzelnen Bürger, Akteure in der Wirtschaft und Verbände haben oft vorrangig die jeweils eigenen Interessen im Blick. Das ist auch in Ordnung. Wir als gewählte Politikerinnen und Politiker haben jedoch den Auftrag, das Ganze im Blick zu haben und Lösungen zu finden, mit denen alle leben können, auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt werden.

Wir Grünen haben seit Langem diesen ganzheitlichen Anspruch. So bedauerlich es ist, dass die langen und mühsamen Verhandlungen um ein so genanntes Jamaika-Bündnis nicht zu einem guten Ende gebracht wurden, sie haben in meinen Augen gezeigt: Grüne sind mehr als eine „Öko-Partei“. Logisch, dass wir es nie allen Recht machen werden. Nur ein paar Korrekturen am bisherigen tun zwar niemandem weh, laufen aber auf ein Weiter-so hinaus. Mit neuen Lasten, die wir unseren Kindern und Enkeln als Erblast hinterlassen. Sowieso gilt nach wie vor der Satz: Wenn wir nichts ändern, wird nichts bleiben, wie es ist.

Was ist zu tun?
Ein paar Stichworte zu dem, was aus unserer Sicht in nächster Zeit fortgesetzt bzw. angegangen werden muss:

Die Neuordnung der städtischen Beteiligungsgesellschaften: Die Aufgaben und Verantwortlichkeiten müssen auf den Prüfstand. Hakeleien, Schuldzuweisungen bis hin zu Mobbing müssen aufhören!

2018 wollen wir das geforderte kommunale Handlungskonzept zur Wohnraumversorgung beraten.

Die Integration der zu uns Geflüchteten und Zugewanderten bleibt eine Aufgabe auf allen Ebenen.

Das Teilkonzept Mobilität muss auf den Weg gebracht werden. Für eine klima- und menschenfreundliche Mobilität in der Innenstadt und in den Ortsteilen.

Bei der Digitalisierung geht es nicht nur um den technischen Ausbau. Sie hat Auswirkungen auf unser Leben, sie greift in unseren Alltag ein. Der so genannte stationäre Einzelhandel spürt dies immer stärker. Wenn immer mehr Menschen zu ihrer Versorgung nur noch ein schnelles Internet, große Onlinehändler und Paketzusteller mit Niedriglohn brauchen, verlieren Innenstädte und Dorfzentren ihre wesentliche Funktion. Diese Aspekte waren bei der Erstellung des Stadtentwicklungskonzepts Bad Salzuflen 2020+ vor 7 Jahren in ihrer Brisanz noch nicht erkennbar. Deshalb braucht es ein Update.

Schutz und Pflege der Naturräume: Manchmal muss etwas erst schlimmer werden, bevor es besser wird. Müssen erst drei Viertel der Bienen sterben, bevor wir merken, dass Artenvielfalt, schadstofffreie Böden, sauberes Wasser und gesunde Luft kein Luxusproblem für Naturfreunde und Wandervögel sind? Anscheinend ist das so. Umweltbildung hat einen Platz in Bad Salzuflen: Das Umweltzentrum Heerser Mühle. Es verdient nicht nur Lob am jährlichen Umwelttag. Es verdient auch mehr praktische Wertschätzung von der Politik!

Wir leben in einer Zeit, in der für viele die Selbstoptimierung und das private Glück über allem stehen. Unsere immer mehr fragmentierte Gesellschaft braucht eine Gegenbewegung für das Miteinander. Frühere Selbstverständlichkeiten müssen anscheinend neu gelernt werden. Zu einer modernen offenen Gesellschaft gehören Regeln und ein gemeinsames Grundverständnis. Respekt ist mehr als passive Toleranz. Auch wenn’s vielen schwer fällt: Wir müssen das Anderssein akzeptieren.

Gelebte Vielfalt ist das, was einst fehlte. Der nächste 9. November ist ein Datum, darüber nachzudenken. Es sind dann 100 Jahre her, dass die erste deutsche Republik ausgerufen wurde. Aber 20 Jahre später brannten planmäßig die Synagogen der deutschen Juden. Damals wurde auch in Salzuflen und Schötmar jüdisches Leben ausgelöscht.

Dies führt mich notwendigerweise dazu zu erinnern: Unsere Stadt hat seit der Schließung des Museums keinen angemessenen Platz für die eigene lange Geschichte. Nicht nur wir Grünen warten seit Langem, dass den Zusagen Taten folgen. „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“ (Dieses Zitat wird übrigens sowohl dem Sozialisten August Bebel als auch Altkanzler Helmut Kohl zugeschrieben.)

In Schötmar gibt es zum Beispiel einen verborgenen Schatz, den auch in diesem Saal wohl nur wenige kennen. Ich meine das so genannte jüdische Priesterhaus hinter dem Markt. Das 1758 errichtete Haus ist in einem erbärmlichen Zustand des Verfalls. Ein warnendes Zeichen, das dafür steht, wenn man sich nicht kümmert.

Sich nicht nur um solche Dinge zu kümmern, hat sich eine kleine neue Bürgerbewegung auf die (nicht vorhandenen) Fahnen geschrieben: Schötmar – Zukunft gestalten. Damit komme ich fast zum Schluss und zu einem positiven Ausblick. Jahrelang wurden alle Energien in die Salzufler Innenstadt und den Kurbereich gesteckt. Das war ja nicht verkehrt. Falsch war, dass man die Probleme in Schötmar nicht ernsthaft angegangen ist.

Nun ist es höchste Zeit. Engagierte Bürgerinnen und Bürger machen Druck. Sie wollen selbst was tun. Wenn der Prozess für einen so genannten Masterplan 2018 entwickelt wird, wird dies mit aktiver Beteiligung von möglichst vielen geschehen. Wir freuen uns, dass es diese Initiative gibt und dass Bürgermeister, Verwaltung und Parteien einen neuen „basisdemokratischen“ Weg angehen wollen. Die Herausforderungen sind vielfältig. Einfache Lösungen gibt es nicht. Der Weg zu einem Miteinander der unterschiedlichen Gruppen und Milieus wird anstrengend und nicht konfliktfrei sein. In Zeiten von Politikverdruss, Wahlenthaltung und rechtem Populismus könnte dies aber ein Aufbruch werden à la Macron: La Republique en marche – Die Republik auf dem Weg.

Im kommenden Jahr jährt sich zum 50. Mal der Zusammenschluss von 2 sehr unterschiedlichen kleinen Städten und 10 Dörfern zur Großgemeinde Bad Salzuflen. Ein gegebener Anlass zum Feiern, Nachdenken und Weiterdenken. Das Motto dafür könnte von Aristoteles sein: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“

Abschließend möchte ich im Namen meiner Fraktion allen in Rat und Verwaltung und allen engagierten Bürgerinnen und Bürgern danken, mit denen wir in konstruktivem Streit im vergangenen Jahr für die Stadt gearbeitet haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Ingo Scheulen, Fraktionsvorsitzender)