Über den Tag hinaus denken und handeln

Haushaltsrede vom 14.12.2016

Rede zur Verabschiedung des Haushalts der Stadt Bad Salzuflen für das Jahr 2017

Der Haushalt für 2017 ist in den Fachausschüssen ausführlich beraten worden. Es ist deshalb nicht nötig, auf das Zahlenwerk im Einzelnen nochmal einzugehen. Der kommende Haushalt ist mit Einnahmen von 151,4 Mio Euro geplant. Dem stehen voraussichtlich 156,6 Mio Euro an Aufwendungen gegenüber. Die Verschuldung der Stadt wächst und wird noch weiter wachsen. Das ist eine Feststellung, an der es nichts herumzudeuteln gibt. Aber: Drückt sie auch die ganze Wahrheit aus?

Wenn einem vorgehalten wird, dass man Schulden hat, dann schwingt immer eine böse Botschaft mit: Du hast nicht nur Schulden, du bist Schuld. So klang es all die Jahre aus dem Mund unseres Finanzministers Wolfgang Schäuble, wenn es um Griechenland ging. Und in dem Antrag der FDP, eine Schuldenbremse einzuführen, schwingt mit, dass man sich andernfalls versündige.

Zur Ehrlichkeit gehört die Wahrheit hinter den Zahlen. Herr Schlüer hat in den vergangenen Jahren als Kämmerer bei allen Schwierigkeiten die Finanzen der Stadt gut gemanagt. Als er den Entwurf für den heute zur Abstimmung stehenden Haushalt 2017 einbrachte, war seine Botschaft an uns Politiker sinngemäß: Ihr wollt meine Warnhinweise nicht verstehen und sattelt immer noch was drauf.

Wörtlich sagte er: „Mir wird angst und bange, wenn ich an die Vielzahl der ausgestellten Wechsel in die Zukunft der Stadt Bad Salzuflen einschließlich der kurörtlichen Infrastruktur und das Abenteuer Staatsbad denke. Mein Ziel, so etwas wie wirtschaftliches Denken zu etablieren, habe ich leider nicht realisieren können. Begriffe wie Kennzahlen, Ziele, Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Businesspläne fielen nicht auf fruchtbaren Boden.“

Dies kann nicht unwidersprochen bleiben! Herr Schlüer, Sie waren an allen Entscheidungen beteiligt und wissen, wie und warum sie zustande gekommen sind.

Richtig ist: Ja, wir haben ein strukturelles Defizit. Die Ursachen dafür liegen aber nicht in einer verschwenderischen Ausgabenfreude. Es mussten Entscheidungen für Investitionen getroffen werden. Nichthandeln wäre grob fahrlässig. Und wirtschaftliches Denken für die Stadtgesellschaft ist nicht dasselbe wir die rein ökonomische Betrachtung in einem profitorientierten Unternehmen. Das sollte eigentlich bekannt sein. Ein Unternehmen kann im Notfall Teile schließen, outsourcen oder schlimmstenfalls auswandern oder per Insolvenz den Laden dicht machen.

Wir können nicht einfach den Reset-Knopf drücken und die Stadt neu gründen. Eine Kommune kann und darf übrigens nach § 12 der Insolvenzordnung sowieso keine Insolvenz anmelden.

Die Menschen sind da. Die Stadt ist da – mit allem Guten und Schlechten. Und mit Erblasten aus der Vergangenheit, die zum großen Teil bis weit ins vorige Jahrhundert zurückreichen, wenn ich nur an das Staatsbad denke.

Aber das ist es nicht allein. Die Infrastruktur muss modernisiert werden. Bestehende Strukturen sind auf ihre Effizienz, ihre Zukunftsfähigkeit zu überprüfen. Das betrifft die Schullandschaft, das Kulturangebot, die Mobilität, den Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen. Es betrifft die stadteigenen Unternehmen, und auch die Verwaltung. Wenn in den nächsten Monaten mehrere leitende Positionen wegen Pensionierung neu zu setzen sind, sollte dieses Zeitfenster genutzt werden, eine Reform der Verwaltungsstruktur anzugehen.

Die Kommune hat dafür zur sorgen, dass das Leben bei aller Vielfalt, allen Brüchen, Interessengegensätzen und Konflikten in einem zivilen geordneten Rahmen stattfindet. Das steckt ja schon im Wort Kommune, vom Lateinischen communio = Gemeinschaft.

Nicht: Was können wir uns leisten? Sondern – und das sage ich nicht zum ersten Mal an dieser Stelle: Was müssen wir uns leisten?

Bekanntlich können wir nicht aus dem Vollen schöpfen wie z.B. Saudi-Arabien mit seinen Ölvorräten. Wir müssen mit den Einnahmen und den Potenzialen rechnen. Wenn wir notwendige Maßnahmen nicht aufschieben wollen, geht das nur mit Darlehensaufnahme. Es sei denn, wir erhöhen nochmals die kommunalen Steuern. Dies hat der Kämmerer zwar ins Gespräch gebracht, aber nicht ernsthaft vorgeschlagen. Es geht ja nicht um die Finanzierung laufender Ausgaben, sondern um Kredite für Investitionen und Vermögenserhalt!

Nicht alles ist buchhalterisch nach einer schlichten Einnahmen-Ausgaben-Rechnung nicht zu saldieren. Bis zur Haushaltsrechtsreform 1974 gab es für kommunale Haushalte strikte Aufteilung der Schulden in „rentierliche“ und „unrentierliche“. Zu den „rentierlichen“ zählten solche Schulden, die überwiegend durch zweckbestimmte Einnahmen gedeckt waren, während die „unrentierlichen“ durch allgemeine Haushaltsmittel gedeckt wurden.

Denn Schulgebäude werfen keinen Mietzins ab. Für die neue Fußgängerzone erheben wir keine Benutzungsgebühr. Ein Schwimmbad ist niemals aus Eintrittsgeldern zu finanzieren. Und eine Maut für die Gemeindestraßen hat auch noch niemand vorgeschlagen. Zu Recht. Es gibt viele Dinge, die sich nicht rechnen – im engeren Sinn.

Wir alle wissen, dass es um mehr geht. Es geht um die Lebensqualität in unserer Stadt. Einwohnerinnen und Einwohner, Gäste und Unternehmen sollen sich hier wohl fühlen. Welchen Sinn hätte sonst der Slogan „Bad Salzuflen – ich fühl‘ mich wohl“?

Um die passenden Lösungen wird gestritten. Das ist unvermeidlich und auch gut so. Wenn’s gut läuft, kommt am Ende ein Ergebnis heraus, mit dem die meisten gut leben können.

Natürlich kann man es nicht allen immer recht machen. Das gehört zu den Kompromissen in einer Demokratie. Und damit komme ich zu einer Frage, die uns zunehmend beschäftigen sollte: Wie erreichen wir es, dass sich mehr Bürgerinnen und Bürger am Gemeinwesen beteiligen? Es muss uns doch alle beunruhigen, wenn sich immer mehr Menschen abwenden, sich nicht interessieren und bei Wahlen zu Hause bleiben. Oder Populisten nachlaufen, die mit einfachen Parolen und Vorurteilen unserer Zusammenleben gefährden.

Dies hat verschiedene Ursachen. Die gefühlte und die tatsächliche Unsicherheit hat zugenommen. Dies wird verstärkt durch Halbwissen und Nichtwissen, durch Postfaktische Filterblasen und Echokammern. Die soziale Spaltung findet auch in Bad Salzuflen statt.

Der Einzelhandel freut sich schon jetzt über bessere Geschäfte als letztes Jahr – trotz Onlinehandel. Der Weihnachtsmarkt ist voller Menschen, die Spaß haben und Geld ausgeben. Aber die anderen sehen wir nicht. Wer nur das Nötigste zum Leben hat, meidet die Treffpunkte der Wohlhabenden. Leiharbeitsfirmen veranstalten keine Weihnachtsfeiern. Wir als Ratsmitglieder haben eine Verantwortung auch für die, die uns nicht gewählt haben. Wir müssen auch die mit im Blick haben, die wir nicht ständig vor Augen haben.

Damit meine ich nicht bloß die angeblich „Abgehängten“. Es geht um so genannte Einkommensschwache, konkret: zum Beispiel um Familien, die sich kein Eigenheim leisten können und auch keinen Kredit von der Bank dafür bekommen. Sie brauchen bezahlbaren Wohnraum. Wenn wir in Bad Salzuflen weiterhin eine Stadt der Vielfalt – in jeder Hinsicht! – bleiben wollen, müssen wir uns kümmern. Deshalb ist es ein guter Schritt, dass wir heute zwei Beschlüsse gefasst haben, die die Wohnraumversorgung als Zukunftsaufgabe festlegt.

Wenn bei der Bürgermeisterwahl vor 15 Monaten im ersten Wahlgang nur 40 Prozent ihre Stimme abgeben, bei der Stichwahl nur noch 30 Prozent, dann ist mit der demokratischen Teilhabe etwas nicht in Ordnung. Die Stabilität der Demokratie stand in Deutschland und in unseren Nachbarländern bis vor wenigen Jahren nicht in Frage. Das hat sich offenbar geändert. Wir sollten sehr besorgt sein und aktiv werden.

Wir spüren es: Unsere Welt ist fragiler, als wir es bisher wahrgenommen haben. Es ist hier nicht die Zeit, all die Krisen und Umbrüche aufzuzählen, die für Unsicherheit und Ängste sorgen. Wir können sie als Kommunalpolitiker*innen aber nicht ausblenden. Das haben wir auch in Bad Salzuflen erfahren.

Krieg, Elend und Vertreibung haben über 65 Millionen Menschen entwurzelt. Ein kleiner Teil davon hat Deutschland erreicht. In seiner Wucht kam der große Zustrom Geflüchteter 2015 unerwartet. Trotz aller Fehler und Pannen hat unser Land, haben die Menschen die Herausforderungen mit viel Engagement und Improvisation angenommen.

Erfreulicherweise sind wir in Bad Salzuflen nicht mit Negativschlagzeilen bekannt geworden, sondern konnten und können die Probleme bewältigen. Das ist nicht einfach, und es gelingt auch nicht immer reibungslos. An dieser Stelle möchte ich allen in unserer Stadt Danke sagen, die an der Lösung dieser schwierigen Aufgaben mitwirken: in der Verwaltung, in den Verbänden, viele Freiwillige in Verbänden und Gemeinden und ganz privat. Der Runde Tisch beim Bürgermeister war und ist eine gute Idee, um Probleme und Lösungsalternativen gemeinsam auszuloten.

Ich gehe davon aus, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch zu den Zeitunglesern gehören. Dann haben Sie gestern die Beiträge in der LZ bzw. NW über den Ökologischen Fußabdruck gelesen, den wir hinterlassen. Im Vergleich zu dem, was uns die Erde bietet und was unseren materiellen Wohlstand ausmacht, leben wir in NRW über unsere Verhältnisse. Auf Seite 3 sind die wichtigsten Bereiche beschrieben, wo unsere Art zu wirtschaften und zu leben die Zukunft unserer Kinder und Enkel gefährdet – wenn wir so weiter machen.

Nur ein Beispiel aus Bad Salzuflen: Unser Grundwasser übersteigt an manchen Stellen bereits die zulässige Höchstmenge an Nitrat, verursacht durch dauerhaften Gülleeintrag als Folge der industriellen Massentierhaltung. 2017 werden wir das Thema sauberes Wasser auf die Tagesordnung bringen. Es ist Zeit zu handeln.

Es war ein langer und mühsamer Weg, bis wir heute endlich zu dem Beschluss in Sachen Klimaschutz gekommen sind. Kostbare Zeit ist seit dem Klimaschutzkonzept aus dem Jahr 2009 vergangen. Sie von der GroKo haben das Thema 7 Jahre lang liegen lassen! Dass der Klimawandel überwiegend vom Menschen verursacht ist, glauben Donald Trump (und auch einige wenige hier im Saal) nicht. Wer wenig weiß, muss mehr glauben. Postfaktisch eben.

Es ist keine Glaubensfrage. Wir wissen genug. Die Fakten über die fortschreitende Erderwärmung sind bekannt. Die Folgen absehbar. Das Pariser Klimaabkommen war keine Spaßveranstaltung, sondern ein unüberhörbarer Aufruf an die Weltgemeinschaft, jetzt zu handeln, bevor es unbezahlbar und unbeherrschbar wird. Die Entscheidung, für eine aus unserer Sicht überflüssige Nachtbeleuchtung Energie und Geld zu verschwenden, zeigt aber, dass Sie es noch nicht wirklich verstanden haben.

Trotzdem haben wir uns entschlossen, diesem Haushalt zuzustimmen, weil wir das Wesentliche mitberaten und entschieden haben. Manches konnten wir anstoßen. Nach den atmosphärisch angespannten Jahren 2014 und 2015 war die Zusammenarbeit mit Ihnen, meine Damen und Herren im Rat, in den Ausschüssen und in der Verwaltung, deutlich entspannter. Im Namen meiner Fraktion danke ich Ihnen und allen, die sich für Bad Salzuflen, für die Menschen in dieser Stadt einsetzen.

Ich erinnere mich an Zeiten, als sich der Dezember nicht durch Konsum und die Maximalbeleuchtung von Straßen, Märkten und Vorgärten beherrscht wurde. Es ging doch noch um etwas anderes, um die Botschaft „Friede auf Erden!“

Ich wünsche uns allen eine gute Weihnachtszeit – und etwas Zeit zum Nachdenken.

(Ingo Scheulen, Fraktionsvorsitzender)